Diabetes Mellitus bei der Katze: Welche Bedeutung haben Akromegalie, Hyperadrenokortizismus und Pankreatitis?
World Small Animal Veterinary Association World Congress Proceedings, 2010
Claudia E. Reusch, Dr.med.vet, Prof., DECVIM-CA
Zürich, Schweiz

Lesen Sie die englische Übersetzung: Feline Diabetes Mellitus: How Relevant are Acromegaly, Hyperadrenocorticism and Pancreatitis as Underlying Disorders?

Einleitung

Für die Einteilung des felinen Diabetes mellitus wird meistens das Klassifikationsschema der Humanmedizin verwendet. Die Entstehungsmechanismen sind wahrscheinlich nicht völlig identisch, das Schema ist jedoch eine gute Hilfe für die Charakterisierung der verschiedenen Diabetesformen. Der Typ-1- Diabetes kommt bei Katzen nur sehr selten vor, der Typ-2-Diabetes ist hingegen sehr häufig und betrifft etwa 80% der Fälle. Andere spezifische Typen (diese Kategorie wurde früher als sekundärer Diabetes bezeichnet) sind bei etwa 20% der Katzen vorhanden. Sie entstehen in der Folge anderer Erkrankungen, die wichtigsten sind Pankreatitis, Hyperadrenokortizismus (HAK) und Hypersomatotropismus (Akromegalie). Zu dieser Kategorie gehören auch Diabeteserkrankungen, die im Zusammenhang mit einer Medikamentengabe (Glukokortikoide, Progestagene) auftreten. Meist werden die Ursachen wie Pankreatitis, HAC und Hypersomatotropismus erst dann in Erwägung gezogen, wenn sich die Diabeteseinstellung schwierig gestaltet.

Aufarbeitung bei Diabetischen Katzen mit Persistierenden Klinischen Symptomen

Wiederauftreten oder Persistieren von klinischen Symptomen ist ein häufiges Problem bei Katzen mit Diabetes. Der erste Schritt in der Aufarbeitung ist es, sich zu vergewissern, dass die Katze tatsächlich schlecht eingestellt ist (d.h., dass klinische Symptome eines Diabetes vorhanden sind). Hohe Blutglukosekonzentrationen werden manchmal fälschlicherweise als Hinweis auf eine schlechte Einstellung interpretiert, obwohl sie stressbedingt sind. Auch die Fructosaminkonzentration kann irreführend sein (hohe Werte, obwohl der Diabetes gut eingestellt ist).

Zunächst sollte die Insulindosis schrittweise auf 1U/kg BID erhöht werden. Sind die klinischen Symptome dann nach wie vor vorhanden, gilt es, technische Fehler (z.B. falsches Aufziehen, Verwendung der falschen Spritzengrösse), Insulinunterdosierung, Insulinüberdosierung und Somogyi--Phänomen, zu kurze oder zu lange Wirkungsdauer des Insulins auszuschliessen. Sind alle entsprechenden Untersuchungen unauffällig verlaufen, sollte mit der Aufarbeitung im Hinblick auf Erkrankungen, die zu einer Insulinresistenz führen, begonnen werden. Jede Erkrankung kann prinzipiell in Frage kommen (Entzündungen, Infektionen, Neoplasien). Am wichtigsten sind Pankreatitis, Pankreaskarzinom, HAK, Hypersomatotropismus, Entzündungen der Maulhöhle, chronische Niereninsuffizienz und Adipositas. Zuletzt muss an schlechte Absorption des Insulins und Insulin-Antikörper gedacht werden, die Relevanz von letzteren ist nicht sicher geklärt.1 Der Fokus des Vortrages liegt auf HAK, Hypersomatotropismus und Pankreatitis.

Hyperadrenokortizismus

Etwa 80% der Katzen mit HAK entwickeln einen Diabetes mellitus. Oftmals geht damit eine schwere Insulinresistenz einher, es kommen jedoch auch Fälle mit nur milder oder moderater Insulinresistenz vor. Der HAC ist prinzipiell eine seltene Erkrankung bei Katzen. 75-80% haben einen hypophysären HAK, 20-25% einen adrenokortikalen HAK. In einigen Fällen kann ein Nebennierenrindentumor auch andere Hormone als Kortisol produzieren (z.B. Progesteron), die klinischen Symptome sind jedoch identisch mit denjenigen eines Hyperkortisolismus. Zusätzlich zu den Symptomen PU/PD und Gewichtsverlust, die durch den Diabetes mellitus verursacht sind, können die Katzen einen vergrösserten Bauchumfang, stumpfes, schuppiges Fell, dünne Haut, Haarausfall oder kein Nachwachsen von geschorenen Haaren und Muskelschwäche aufweisen. In schweren Fällen kann die Haut so dünn und fragil sein, dass sie einreisst. Katzen mit grossen Tumoren der Hypophysen können neurologische Symptome aufweisen. Es ist jedoch wichtig zu wissen, dass die klinischen Symptome eines HAK auch sehr gering ausgeprägt sein können und erst dann Verdacht auf HAK geschöpft wird, wenn die Diabeteseinstellung sich als schwierig erweist.

Wie beim Hund sollte die Aufarbeitung in zwei Schritten erfolgen. Zunächst sollte das Vorliegen eines HAK bestätigt werden, in einem zweiten Schritt gilt es dann zu untersuchen, welche der beiden Formen vorliegt. Das Urin-Kortikoid-Kreatinin-Verhältnis (UCC) gilt als sensitiver Screening-Test. Es ist jedoch zu beachten, dass die Referenzbereiche stark abhängig vom jeweiligen Labor und der verwendeten Messmethode sind und die Spezifität nur mässig ist. Wir haben vor einiger Zeit den Dexamethason-Suppressionstest in einer Gruppe von Katzen mit Diabetes evaluiert. Der Test wurde 6 Wochen nach Beginn der Insulintherapie durchgeführt. Bei 20 von 22 Katzen kam es 4 und 8 Stunden nach der Gabe von 0.1 mg/kg Dexamethason zu einer vollständigen Suppression der Kortisolkonzentration. Es bestand kein Unterschied zwischen Katzen mit guter und schlechter Diabeteseinstellung. Bei zwei Katzen war der Test abnormal, beide litten unter einem HAK, was histologisch bestätigt wurde.2 Der ACTH-Stimulationstest ist ein Test zur Beurteilung der sogenannten Nebennierenrindenreserve und für den Nachweis eines HAK nicht geeignet. Mittels ultrasonographischer Beurteilung der Nebennieren kann in vielen Fällen eine Unterscheidung zwischen einem hypophysären und einem adrenokortikalen HAK getroffen werden. Die Interpretation der ultrasonographischen Nebennierenbefunde ist jedoch bei der Katze schwieriger als beim Hund. Prinzipiell spricht ein bilateral symmetrisches Aussehen der Nebennieren für einen hypophysären HAK, während eine unilaterale Vergrösserung oder eine Asymmetrie für die adrenokortikale Form spricht. Weitere Tests für die Unterscheidung der beiden Formen sind Messung des endogenen ACTH sowie Darstellung der Hypophyse mittels CT oder MRI.

Die Therapie des felinen HAK ist schwierig. In der Zukunft wird sich die transphenoidale Hypophysektomie möglicherweise als die Methode der Wahl erweisen. Die Strahlentherapie der Hypopyhse wurde bisher nur bei wenigen Fällen mit "gemischten" Resultaten durchgeführt. Die bilaterale Adrenalektomie galt längere Zeit als gute Methode, sie ist jedoch aufwändig und postoperativ ist die Supplementation mit Mineralo- und Glukokortikoiden erforderlich. Die medikamentöse Behandlung mit Ketokonazol oder Mitotan ist meist nicht erfolgreich. Für den Einsatz von Trilostan liegen bisher nur wenige Erfahrungen vor, diese sind jedoch recht erfolgsversprechend. Als initiale Dosis wird meist 30 mg/Katze SID verwendet.3,4 Bei Katzen mit einem unilateralen Nebennierenrindentumor sollte eine Adrenalektomie durchgeführt werden.

Hypersomatotropismus (Akromegalie)

Fast alle Katzen mit Hypersomatotropismus entwickeln einen Diabetes mellitus. Die Erkrankung ist bei der Katze durch einen Wachstumshormon- (STH)- produzierenden Tumor des Hypophysenvorderlappens verursacht. STH hat katabole und anabole Wirkungen, letztere werden hauptsächlich durch IGF-1 vermittelt. Die katabolen Wirkungen sind vor allem durch eine Insulinresistenz verursacht, die wiederum der Grund für die Diabetesentstehung ist. Die anabolen Wirkungen äussern sich in Proliferation von Knochen, Knorpel, Weichteilgewebe und Organen mit der Folge eines grobschlächtigen Körperbaus, einem grossen/breiten Kopf, grossen Pfoten, Gewichtszunahme, Prognathia inferior, respiratorischen Problemen aufgrund der Gewebszunahme im Pharynxbereich, degenerativen Gelenkveränderungen, Organomegalie und möglichem Organversagen. Ein Wachstum des Hypophysentumors kann zu neurologischen Problemen führen. Wie bereits für den HAK beschrieben, können die klinischen Symptome auch sehr mild sein oder sogar ganz fehlen.

Eine Akromegalie galt lange als seltene Erkrankung. Vor kurzem wurde jedoch publiziert, dass die Erkrankung häufiger vorkommt als vermutet, und sie wahrscheinlich unterdiagnostiziert ist.5 Ob diese Vermutung sich tatsächlich bewahrheitet, muss durch weitere Studien belegt werden. Anhand der zur Verfügung stehenden Daten lässt sich momentan sagen, dass die Erkrankung wahrscheinlich relativ häufig ist bei Katzen mit schwerer Insulinresistenz6, hingegen ist sie selten bei Katzen mit einem unkomplizierten Diabetesverlauf.

Aufgrund eingeschränkter Verfügbarkeit eines STH-Assays wird die Diagnose meist anhand eines erhöhten IGF-1 gestellt. Diesbezüglich sollten zwei Punkte bedacht werden. Zum einen ist IGF-1 an verschiedene Proteine gebunden, die vor der Messung vollständig abgetrennt werden müssen. Nicht alle Assays sind dazu jedoch in der Lage, so dass es zu falsch hohen Werten kommen kann.7 Zum anderen sind IGF-1- Konzentrationen bei Katzen mit Diabetes initial oft niedrig und steigen mit Beginn der Insulintherapie deutlich an. Auch bei diabetischen Katzen mit Akromegalie kann der IGF-1 Wert vor Beginn der Insulintherapie niedrig sein.8 Der Grund für dieses Phänomen ist, dass zur Expression von STH-Rezeptoren in der Leber relativ hohe Insulinkonzentrationen in den Portalvenen erforderlich sind.9 In unserer Klinik wird das IGF-1 daher in der Regel erst 6-8 Wochen nach Beginn einer Insulintherapie gemessen.

Bisher liegen nur begrenzte Erfahrungen zur Therapie vor. Möglicherweise wird auch bei dieser Erkrankung die Hypophysektomie in Zukunft Methode der Wahl sein. Momentan ist eine Strahlentherapie die erfolgversprechendste Methode.10,11,12

Pankreatitis

Die Zusammenhänge zwischen Diabetes mellitus und Pankreatitis sind sowohl beim Menschen als auch beim Kleintier sehr komplex und noch weitgehend ungeklärt. Traditionell wurden endokrines und exokrines Pankreas als zwei unabhängige Strukturen angesehen, heute ist jedoch klar, dass sie anatomisch und funktionell eng zusammenhängen. Es besteht sowohl ein enger zellulärer Kontakt zwischen beiden Teilen, als auch eine Inselzell-Azinus- Gefässverbindung. Das von den Inselzellen kommende Blut fliesst, bevor es das Pankreas verlässt, zunächst in die azinären Kapillaren und es wird angenommen, dass Insulin eine regulierende Rolle im exokrinen Pankreas einnimmt.

In der Humanmedizin wurde bis vor kurzem davon ausgegangen, dass nur 0.5-1.7% aller Diabetesfälle durch eine Erkrankung des exokrinen Pankreas verursacht sind. Tatsächlich jedoch scheinen es mindestens 8% zu sein.13 Bei etwa 50% der Menschen mit akuter Pankreatitis wird eine vorübergehende Hyperglykämie beobachtet, zu einem bleibenden Diabetes kommt es in 1-15% der Fälle. Die Diabetes-Prävalenz bei der chronischen Pankreatitis liegt bei 30-83%. Je länger die Dauer der chronischen Pankreatitis ist, desto grösser ist auch die Zahl der Patienten, die einen Diabetes entwickeln. Noch komplizierter wird die Angelegenheit durch die Tatsache, dass etwa 40% der Menschen mit Typ 1- und Typ 2- Diabetes eine Dysfunktion des exokrinen Pankreas aufweisen.14

Bei Katzen mit Diabetes sind Pankreasentzündungen ebenfalls häufig, es ist jedoch unklar, welche Erkrankung Ursache und welche Wirkung ist. Eine retrospektive Studie wies nach, dass bei 19 von 37 verstorbenen diabetischen Katzen (51%) histologisch eine Pankreatitis vorlag.15 In einer anderen, labordiagnostischen Studie wurde berichtet, dass 24 von 29 diabetischen Katzen (83%) erhöhte fPLI Werte aufwiesen. Leider war aufgrund der Studienanordnung praktisch keine klinische Information verfügbar (Untersuchung von eingesandten Blutproben). Interessanterweise war das fPLI bei 15 von 23 nicht-diabetischen Katzen (66%) ebenfalls erhöht.16 Wir untersuchen momentan die Zusammenhänge zwischen Pankreatitis und Diabetes mellitus, sowie die Aussagekraft der verschiedenen diagnostischen Methoden. Bei Katzen mit neu-diagnostiziertem Diabetes, die keine offensichtlichen anderen Probleme aufweisen, liegt die Prävalenz einer fPLI-Erhöhung deutlich unter derjenigen der oben angeführten Studie. Nur 2 von 13 Katzen hatten ein geringgradig erhöhtes fPLI (zwischen 12 und 20 µg/dl), bei allen anderen Katzen war es normal.

Die klinischen Symptome einer Pankreatitis sind unspezifisch, am häufigsten sind Anorexie und Apathie. Die Kontrolle des Blutzuckers kann sehr schwierig sein, da die Glukosekonzentrationen stark fluktuieren und immer wieder Hypoglykämien auftreten können. Die Behandlung besteht aus Infusionen, Schmerzbekämpfung, Antiemetika, Ernährung, Thromboseprophylaxe und Antibiotika. Bei Patienten mit chronischer Pankreatitis ist die Behandlung meist auf diätetische Massnahmen beschränkt.

References

1.  Reusch C, in Ettinger & Feldman 2010, 1796.

2.  Kley S, et al. SAT 2007;149:493.

3.  Skelly BJ, et al. JSAP 2003; 44:269.

4.  Neiger R, et al. JVIM 2004;18:160.

5.  Niessen SJM, et al. JVIM 2007;21:899.

6.  Slingerland LI, et al. Dom Anim Endocrinol 2008; 35:352.

7.  Tschuor F, et al. SCE meeting 2007.

8.  Reusch CE, et al. Vet Rec 2006;158:195.

9.  Bereket A, et al. Horm Metab Res 1999;31:172.

10. Kaser-Hotz B, et al. JSAP 2002;43:303.

11. Brearley MJ, et al. Vet Comp Oncology 2006;4:209.

12. Dunning MD, et al. JVIM 2009; 23:243.

13. Hardt PD, et al. Diabetes Care 2008;31:165.

14. Czako L, et al. Pancreatology 2009;9:351.

15. Goosens MM, et al. JVIM 1998.

16. Forcada Y, et al. JFMS 2008;10:480.

 

Speaker Information
(click the speaker's name to view other papers and abstracts submitted by this speaker)

Claudia E. Reusch, Dr. med.vet., Prof., DECVIM-CA
Zurich, Switzerland


MAIN : Innere Medizin : Diabetes Mellitus
Powered By VIN
SAID=27