Herausfordernde Fälle in innerer Medizin
World Small Animal Veterinary Association World Congress Proceedings, 2010
Nadja S. Sieber-Ruckstuhl, Dr. med. vet., DECVIM-CA, DACVIM
Zürich, Schweiz

Lesen Sie die englische Übersetzung: Challenging Cases in Internal Medicine

Einleitung

In dieser Veranstaltung werden herausfordernde Fälle der inneren Medizin diskutiert. Unter anderem werden Diagnose und die Therapie von Nebennieren-Tumoren besprochen.

Nebennieren-Tumore

Die Nebenniere besteht aus zwei funktionellen Einheiten, der Nebennierenrinde und dem Nebennierenmark. Die Nebennierenrinde sezerniert Steroidhormone wie Glukokortikoide, Mineralokortikoide und Androgene, das Nebennierenmark produziert hauptsächlich Katecholamine. Neoplasien beider Bereiche sind bei Hunden und Katzen beschrieben. Nebennieren-Tumore (NT) können klein oder gross, unilateral oder bilateral, gutartig oder bösartig, gut abgegrenzt oder invasiv, funktionell oder nicht-funktionell, primär oder metastatisch sein. Wichtige Differentialdiagnosen für NT sind: funktionelles Nebennierenrindenadenom oder -karzinom, Phäochromozytom, Tumormetastase oder Incidentalom. Zu beachten ist, dass NT ähnlich aussehen können wie makronoduläre Hyperplasie (verursacht durch einen hypophysären Hyperadrenokortizismus) oder wie ein Hämatom, ein Granulom oder eine Zyste innerhalb der Nebenniere.

Nebennierenrinden-Tumore, die Glukokortikoide produzieren

Nebennierenrinden-Tumore, die Glukokortikoide produzieren sind die am häufigsten auftretenden NT. Etwa 15% der natürlichen Hyperadrenokortizismus (HAK) Fälle beim Hund sind auf einen NT zurückzuführen. In den meisten Fällen ist der Tumor unilateral, aber bilaterale Tumore werden ebenfalls gefunden. Beim Hund sind 50% der Neoplasien gut- und 50% bösartig.1 Die klinischen Symptome widerspiegeln den Glukokortikoidüberschuss und beinhalten Polyurie, Polydipsie, Polyphagie, vergrössertes Abdomen, Lebervergrösserung, Hautveränderungen (z.B. Alopezie, Hautatrophie, Calzinosis cutis, Hyperpigmentation), Muskelschwäche, Leistungsschwäche, starkes Hecheln, Stammfettsucht, Apathie, Immunsuppression, Insulinresistenz und gestörte Sexualfunktion. Seltene Komplikationen sind Obstruktionen der Vena cava durch Tumorgerinnsel und Hämo(retro)peritoneum durch eine Ruptur eines Nebennierentumors.

Die Verdachtsdiagnose eines HAK wird anhand typischer klinischer Symptome und gestützt durch typische Laborveränderungen (z.B. hohe alkalische Phosphatase, hohes Cholesterin, erhöhter Protein-Kreatinin-Quotient im Harn, erhöhte Thrombozytenzahl) gestellt und dann durch spezifische Screening-Tests (tief-dosierter Dexamethason Suppressionstest, Kortisol-Kreatinin-Quotient im Harn) bestätigt. Um einen Nebennieren-abhängigen HAK von einem Hypophysen-abhängigen HAK zu unterscheiden, sollte anschliessend das endogene ACTH gemessen und die Nebennieren mittels Ultraschall oder Computer-Tomographie dargestellt werden. Der tief-dosierte oder der hoch-dosierte Dexamethason Suppressionstest können bei der Differenzierung hilfreich sein, sind aber manchmal irreführend. Zu beachten gilt, dass bei einem Kortisol-produzierenden Nebennieren-Tumor die kontralaterale Nebenniere klein sein sollte. Ist dies nicht der Fall, muss an eine bilaterale Neoplasie oder an die Kombination eines Nebennieren-abhängigen HAK zusammen mit einem Hypophysen-abhängigen HAK oder an die Kombination eines Nebennierenrinden-Tumors mit einem Phäochromozytom gedacht werden.

Die Therapiemöglichkeiten bei einem Nebennierenrinden-Tumor, der Glukokortikoide produziert, beinhalten eine chirugische Entfernung oder eine medikamentelle Therapie. Hunde ohne Anzeichen von Metastasen und mit einem resezierbaren Tumor sind gute chirurgische Kandidaten. Erfolgreiche, vollständige Entfernung der Nebennierenmasse wird zur Erholung ohne lebenslange Therapie führen. Da nach einer unilateralen Adrenalektomie die kontralaterale Nebenniere supprimiert ist, wird eine Supplementation mit Glukokortikoiden und eventuell auch mit Mineralokortikoiden peri- und postoperativ unumgänglich. Sobald der Chirurge intraoperativ den Nebennieren-Tumor identifiziert, wird deshalb eine Dexamethason-Infusion (0.1 mg/kg) über 6 Stunden angehängt. Nach der Operation sollte der Patient für weitere 48-72h mit parenteralen Glukokortikoiden supplementiert werden. Danach wird auf orale Glukokortikoide umgestellt, welche dann über 3-6 Monate ausgeschlichen werden. Mineralokortikoid-Supplementation ist nur nötig, wenn ein Patient postoperativ eine mittelgradige Hyponatriämie (< 135 mmol/L) und Hyperkaliämie (> 6.5 mmol/L) entwickelt.1

Hunde mit inoperablen Neoplasien, mit Metastasen oder mit einem Rezidiv, sollten medikamentell therapiert werden. Die medikamentelle Therapie kann adrenocorticolytisch (Mitotan) oder adrenocorticostatisch (Trilostan) sein. Der Vorteil von Mitotan ist, dass auch Tumormetastasen reduziert werden können. Oft müssen aber sehr hohe Dosierungen von Mitotan eingesetzt werden, um die klinischen Symptome zu kontrollieren. Trilostan, ein kompetitiver Hemmer der Steroidhormonsynthese, wurde vor kurzem als sichere und effektive Alternative beschrieben.2 Auch bei Tieren mit Tumormetastasen war Trilostan wirksam.3 Die Trilostantherapie führt aber nur zur Kontrolle der klinischen Symptome und verhindert nicht ein allfälliges Wachstum oder eine Metastasierung einer Nebennierenmasse.

Nebennierenrinden-Tumore, die andere Steroidhormone produzieren

Nebennierenrinden-Tumore, die Progesteron oder andere Sexualhormone (Östradiol, Testosteron, Androstendion) produzieren sind relativ selten bei Hunden und Katzen.

Bei Tieren mit klinischen Zeichen eines HAK und einer Nebennierenmasse, aber unklaren Testresultaten, sollte das Blut auf andere Nebennierenhormone untersucht werden. Bei kastrierten Tieren mit plötzlichen sexuellen Verhaltensänderungen (z.B. Aggression, Markierverhalten) sollte unbedingt an einen Sexualhormon-produzierenden Nebennieren-Tumor gedacht werden.

Eine Adrenalektomie ist die Behandlung der Wahl und führt in der Regel zum Verschwinden der klinischen Symptome.

Nebennierenrinden-Tumore, die Aldosteron produzieren

Primärer Hyperaldosteronismus hervorgerufen durch einen Nebennierenrinden-Tumor ist sehr selten beim Hund. Sowohl gut- als auch bösartige Aldosteron-produzierende NT wurden beschrieben. Die Hunde präsentierten sich mit episodischer Schwäche, Polydipsie, Polyurie und einer Nebennierenmasse. In allen Fällen konnten eine Hypokaliämie, eine hohe Aldosteronkonzentration und eine milde Hypertension nachgewiesen werden.

Hyperaldosteronismus bei Katzen kann durch einen unilateralen, Aldosteron-produzierenden NT (Karzinom oder Adenom) oder durch eine bilaterale Hyperplasie der Nebennieren verursacht sein.4 Katzen präsentieren sich mit Symptomen einer systemischen Hypertension (z.B. intraokuläre Blutungen) oder einer, durch die Hypokaliämie verursachten, Polymyopathie (z.B. Ventroflexion, Muskelschwäche). Typischerweise sind alte Katzen (mittleres Alter 10 Jahre) betroffen. Für eine definitive Diagnose ist der Nachweis einer unpassend hohen Aldosteronkonzentration in Kombination mit einer tiefen Renin Aktivität nötig.5

Eine Adrenalektomie ist die Behandlung der Wahl für einen bestätigten unilateralen primären Hyperaldosteronismus. Wenn die Chirurgie nicht in Frage kommt, kann mit dem Mineralokortikoid Rezeptorblocker Spironolakton (2 mg/kg q12h) und mit oraler Supplementation von Kaliumglukonat (0.5mmol/kg q12h) therapiert werden. Weiterbestehende systemische Hypertesion kann mit dem Kalziumkanal-Blocker Amlodipin (Anfangsdosis: 1/8 - 1/4 einer 5mg Tablette/Katze q24h) behandelt werden.5

Nebennierenmark-Tumore: Phäochromozytom

Phäochromozytome sind funktionelle endokrine Neoplasien, meist der Nebennieren, die Katecholamine als hauptsächliches sekretorisches Produkt sezernieren. Sie werden beim Hund selten und bei der Katze extrem selten diagnostiziert und sind oft Zufallsbefunde bei der Sektion. Phäochromozytome sollten als bösartige Neoplasien betrachtet werden, die häufig ins umliegende Gewebe infiltrieren und in die Leber, Lunge, regionalen Lymphknoten, Milz, Knochen und ZNS metastasieren. Phäochromozytome werden hauptsächlich in älteren Hunden (mittleres Alter 11 Jahre) diagnostiziert. Klinische Symptome entstehen aufgrund der vermehrten Katecholamin Sekretion oder aufgrund der Platzverdrängung durch den Primärtumor oder die Metastasen. Auf eine erhöhte Katecholamin Sekretion hinweisende Symptome sind Schwäche, Apathie, Kollaps, Erbrechen, Hecheln, Dyspnoe, Tachypnoe, Anfälle, Tachyarrhythmien, abdominale Schmerzen, Fieber und Herzstillstand.

Um die Diagnose eines Phäochromozytoms zu stellen braucht es einen hohen klinischen Verdacht. Das Finden einer abdominalen Masse im Ultraschall bei einem Patienten mit passender klinischer Symptomatik und möglicherweise einer Hypertension ist hoch verdächtig. Normale Nebennieren bei der ultrasonographischen Untersuchung schliessen aber ein Phäochromozytom nicht aus. Auch die Hypertension muss nicht immer vorhanden sein, da die Katecholamin Sekretion häufig episodisch verläuft. Beim Mensch wird zur Diagnose des Phäochromozytoms der Nachweis der exzessiven Hormonproduktion herangezogen. Weit verbreitete Tests sind die Messung von Katecholaminen und ihrer Abbauprodukte, den Metanephrinen, im 24-Stunden-Urin oder die Messung der Metanephrine im Plasma. Kürzlich wurde gezeigt, dass Hunde mit Phäochromozytom signifikant höhere Adrenalin-, Noradrenalin- und Normethanephrin-Kreatinin-Quotienten im Harn hatten als gesunde Hunde.6 Der Normetanephrin-Kreatinin-Quotient differenzierte dabei am besten.6 Ob andere Erkrankungen (z.B. HAK) auch zu einer Erhöhung der Katecholamine und Metanephrine im Urin führen wird derzeit noch untersucht.

Die beste Therapie ist die chirurgische Entfernung. Ein alpha-adrenerger Blocker (Phenoxybenzamin: Anfangsdosis 0.25 mg/kg PO q12h) sollte 2 Wochen vor der Operation gestartet werden, um die Hypertension zu kontrollieren und das Risiko einer hypertensiven Krise während der Operation zu minimieren.7 Die medikamentelle Therapie mit Phenoxybenzamin ist auch bei Tieren mit einem Rezidiv oder bei Hunden mit inkompletter Resektion eine Möglichkeit. Die Dosis wird dann langsam erhöht bis die klinischen Symptome verschwinden oder eine Hypotension auftritt.

Incidentalom

In der Humanmedizin wird ein Incidentalom als eine zufällig bei einer radiologischen Untersuchung entdeckte Nebennierenmasse > 1 cm definiert.8 Fälle, bei denen eine symptomatische Nebennierenerkrankung aufgrund einer oberflächlichen Anamnese oder klinischen Untersuchung verpasst wurde, werden ausgeschlossen. Die meisten Incidentalome beim Mensch sind hormonell inaktive, gutartige Adenome.9

Der weitverbreitete Gebrauch der ultrasonographischen Untersuchung hat in der Veterinärmedizin zu einer häufigeren Identifizierung von Incidentalomen geführt. Der erste und wichtigste Schritt in so einem Fall ist eine erneute, sorgfältige Erfragung der Vorgeschichte und der klinischen Symptome. Wenn Besitzer typische klinische Symptome für einen HAK, ein Phäochromozytom oder einen Hyperaldosteronismus beschreiben, sollten die nötigen diagnostischen Tests wie oben beschrieben durchgeführt werden. Wenn keine Symptome beschrieben werden und die Masse klein (< 2 cm) und homogen ist, sollten die Nebennieren alle 2-4 Monate ultrasonographisch kontrolliert werden. Wenn keine Symptome aufgefallen sind, die Masse aber gross (> 2 cm) und inhomogen ist, empfiehlt sich eine weitere diagnostische Aufarbeitung und eine Adrenalektomie.

Literatur

1.  Feldman EC and Nelson RW 2004. Canine and Feline Endocrinology and Reproduction. 3rd ed. 252.

2.  Eastwood JM, et al. J Small Anim Prac 2003;44:126.

3.  Benchekroun G, et al. Vet Rec 2008;163:190.

4.  Javadi S, et al. Domest Anim Endocrinol 2005;28:85.

5.  Rijnberk A and Kooistra HS 2010. Clinical Endocrinology of dogs and cats.2nd ed: 93.

6.  Kook PH, et al. J Vet Intern Med 2007;21:388.

7.  Herrera MA, et al. J Vet Intern Med 2008:22:1333.

8.  Young WF. Endocrinol Metab Clin North Am 2000;29:159.

9.  Mansmann G, et al. Endocr Rev 2004;25:309.

 

Speaker Information
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Bernhard Gerber, Dr. med. vet., DACVIM, DECVIM-CA
Zürich, Switzerland

Nadja S. Sieber-Ruckstuhl, Dr. med. vet., DECVIM-CA, DACVIM
Zurich, Switzerland


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